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Das Phänomen der Gleichgültigkeit der Welt

Author:   Julia Kesselmeier  
Posted: 12/7/2000; 1:20:38 AM
Topic: mythos
Msg #: 217 (Antwort auf 182)
Prev/Next: 216/218

Der folgende Text stellt eine Zusammenfassung von Leszek Kolakowskis Abhandlung Das Phänomen der Gleichgültigkeit der Welt dar. Falls nicht anders angegeben, entstammen die Zitate aus dem Primärtext, der zu finden ist in: Leszek Kolakowski: Das Phänomen der Gleichgültigkeit der Welt (1973). In: Die Gegenwärtigkeit des Mythos. 2. Auflage. München 1974, S. 89-105 (= 8.Kapitel).

Leszek Kolakowski: Das Phänomen der Gleichgültigkeit der Welt

In seinem Aufsatz Das Phänomen der Gleichgültigkeit der Welt stellt Leszek Kolakowski heraus, dass menschliches Verhalten einer Flucht entspricht. Die Menschen fliehen seiner Ansicht nach vor dem Leiden. Dieses Leiden entspricht der Ignoranz der Menschen gegenüber Individuen, die durch ein dualistisches Weltbild geprägt sind, d.h. wir selbst empfinden uns als Subjekt, den anderen oder das andere als Objekt. In Leszek Kolakowskis Worten ausgedrückt, lautet es folgendermaßen: „Das, wovor wir fliehen, ist die Erfahrung der Gleichgültigkeit der Welt, und die Versuche, diese Gleichgültigkeit zu überwinden, bilden den zentralen Sinn des menschlichen Ringens mit dem Schicksal in seiner Alltäglichkeit und in seinen Extremen.“

Will man sich von den Versuchen zur Überwindung dieser Gleichgültigkeit lossagen, so gibt es dazu zwei Möglichkeiten, die beide allerdings nicht wirklich das Problem lösen.

Zum einen kann man sich durch Selbstmord der Welt entziehen; dies ist aber nur scheinbar eine Lösung, da sich die Gleichgültigkeit der Welt nicht durch die eigene Abwesenheit auf der Erde verändert. Zum anderen kann man die Gleichgültigkeit der Welt "in vollem Verständnis" registrieren und "diejenigen Situationen der Gemeinschaft mit Menschen zu festigen, die uns zugänglich sind, die Verlockungen vollkommener Lösungen von sich weisend, partielle Genugtuungen suchend". Dabei handelt es sich um die Absicht, die 'wüste' Welt so zu gestalten, dass wir in einem freundschaftlichen Verhältnis zu ihr und ihren Bewohnern stehen.

Entscheidet man sich für diese bewusste, offene Konfrontation mit der Gleichgültigkeit der Welt, ist dies allerdings entweder ein Eingeständnis der eigenen Verzweiflung oder eine Mystifizierung der eigenen Handlungen, was bedeutet, dass man die Unbändigkeit der Welt durch Zerstreuung aufzuheben versucht. Durch die Zerstreuung, Freizeit, Genuss, entsteht aber nur selbst auferlegter Stress und Zeitdruck, wodurch die Verzweiflung lediglich abgedeckt aber nicht wirklich bezwungen wird:

"Unsere gesamte Zivilisation dient jener scheinbaren Abtötung, in dem sie Gelegenheiten zur Zerstreuung häuft, in denen das Leben in Anspruchslosigkeit und Glätte ritualisierter Sitten oder in partiellen Genugtuungen aufgerieben wird, denen man in keiner Weise einen universellen Sinn verleihen kann."

Nach Leszek Kolakowskis Theorie gibt es somit nur zwei Möglichkeiten, um mit der "Erfahrung der Gleichgültigkeit der Welt" zu leben: entweder man findet einen Sinn ("die Fremdheit der Dinge durch ihre mythische Organisation […] überwinden") oder man raubt sich selbst diese Erfahrung durch ein von uns selbst erstelltes System von Institutionen, das die "Faktizität des Alltäglichen", wie Sachzwänge, Erfolg, Status etc., in den Vordergrund stellt.

Leszek Kolakowski lässt sowohl dem philosophischen als auch dem religiösen Mythos eine sehr wichtige Funktion zuteil werden: der Mythos versteht es nämlich, im Gegensatz zur Technologie oder der Leidenschaft, die beide das Ziel verfolgen, Macht über Dinge oder Personen auszuüben, der "Gleichgültigkeit der Welt" entgegenzuwirken.

Allerdings können das nur bestimmte Mythen leisten, die Kolakowski wie folgt charakterisiert: diese Mythen müssen "jegliche Erfahrung" in eine solche Beziehung setzen, dass die mit den Sinnen zu erfassende (empirische) Realität lediglich als "sekundäre Realität" erfasst wird. Somit fungiert die Erfahrung als Medium zwischen dieser Wirklichkeit und einer "nicht-empirischen, mythischen und unbedingten Welt".

Der Mythos muss demnach die beiden extremen Erfahrungen Liebe und Tod auswerten und beurteilen bzw. verteidigen; er muss eine Begründung dafür liefern, warum man sich bei den Gedanken, die man sich über den Tod macht, von seinen Mitmenschen unbeachtet fühlt, anstatt zu akzeptieren, dass das Leben auf der Erde mit dem Tod endet und das jedes Lebewesen früher oder später einmal sterben wird.

Zum anderen sollte der Mythos erklären können, wieso wir uns in der Liebe bzw. in einer Partnerschaft nie befriedigt, d.h. vollkommen, fühlen können.

Trifft diese Definition auf einen Mythos zu, kann dieser die "Zähmung des Seins", d.h. eine gewisse Ordnung der Welt, veranlassen.







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Last update: Montag, 12. Februar 2001 um 21:02:02 Uhr.