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Das Phänomen der Gleichgültigkeit der Welt
Der folgende Text stellt eine Zusammenfassung von Leszek Kolakowskis Abhandlung Das Phänomen der Gleichgültigkeit der Welt dar. Falls nicht anders angegeben, entstammen die Zitate aus dem Primärtext, der zu finden ist in: Leszek Kolakowski: Das Phänomen der Gleichgültigkeit der Welt (1973). In: Die Gegenwärtigkeit des Mythos. 2. Auflage. München 1974, S. 89-105 (= 8.Kapitel). Leszek Kolakowski: Das Phänomen der Gleichgültigkeit der Welt
In seinem Aufsatz Das Phänomen der
Gleichgültigkeit der Welt stellt Leszek Kolakowski heraus, dass
menschliches Verhalten einer Flucht entspricht. Die Menschen fliehen
seiner Ansicht nach vor dem Leiden. Dieses Leiden entspricht der Ignoranz
der Menschen gegenüber Individuen, die durch ein dualistisches Weltbild
geprägt sind, d.h. wir selbst empfinden uns als Subjekt, den anderen oder
das andere als Objekt. In Leszek Kolakowskis Worten ausgedrückt, lautet es
folgendermaßen: „Das, wovor wir fliehen, ist die
Erfahrung der Gleichgültigkeit der Welt, und die Versuche, diese
Gleichgültigkeit zu überwinden, bilden den zentralen Sinn des menschlichen
Ringens mit dem Schicksal in seiner Alltäglichkeit und in seinen
Extremen.“
Will man sich von den Versuchen zur Überwindung dieser Gleichgültigkeit
lossagen, so gibt es dazu zwei Möglichkeiten, die beide allerdings nicht
wirklich das Problem lösen.
Zum einen kann man sich durch Selbstmord der Welt entziehen; dies ist
aber nur scheinbar eine Lösung, da sich die Gleichgültigkeit der Welt
nicht durch die eigene Abwesenheit auf der Erde verändert. Zum anderen
kann man die Gleichgültigkeit der Welt "in vollem
Verständnis" registrieren und "diejenigen
Situationen der Gemeinschaft mit Menschen zu festigen, die uns zugänglich
sind, die Verlockungen vollkommener Lösungen von sich weisend, partielle
Genugtuungen suchend". Dabei handelt es sich um die Absicht, die
'wüste' Welt so zu gestalten, dass wir in einem freundschaftlichen
Verhältnis zu ihr und ihren Bewohnern stehen.
Entscheidet man sich für diese bewusste, offene Konfrontation mit der
Gleichgültigkeit der Welt, ist dies allerdings entweder ein Eingeständnis
der eigenen Verzweiflung oder eine Mystifizierung der eigenen Handlungen,
was bedeutet, dass man die Unbändigkeit der Welt durch Zerstreuung
aufzuheben versucht. Durch die Zerstreuung, Freizeit, Genuss, entsteht
aber nur selbst auferlegter Stress und Zeitdruck, wodurch die Verzweiflung
lediglich abgedeckt aber nicht wirklich bezwungen wird:
"Unsere gesamte Zivilisation dient jener scheinbaren
Abtötung, in dem sie Gelegenheiten zur Zerstreuung häuft, in denen das
Leben in Anspruchslosigkeit und Glätte ritualisierter Sitten oder in
partiellen Genugtuungen aufgerieben wird, denen man in keiner Weise einen
universellen Sinn verleihen kann."
Nach Leszek Kolakowskis Theorie gibt es somit nur zwei Möglichkeiten,
um mit der "Erfahrung der Gleichgültigkeit der Welt"
zu leben: entweder man findet einen Sinn ("die
Fremdheit der Dinge durch ihre mythische Organisation […] überwinden")
oder man raubt sich selbst diese Erfahrung durch ein von uns selbst
erstelltes System von Institutionen, das die "Faktizität
des Alltäglichen", wie Sachzwänge, Erfolg, Status etc., in den
Vordergrund stellt.
Leszek Kolakowski lässt sowohl dem philosophischen als auch dem
religiösen Mythos eine sehr wichtige Funktion zuteil werden: der Mythos
versteht es nämlich, im Gegensatz zur Technologie oder der Leidenschaft,
die beide das Ziel verfolgen, Macht über Dinge oder Personen auszuüben,
der "Gleichgültigkeit der Welt" entgegenzuwirken.
Allerdings können das nur bestimmte Mythen leisten, die Kolakowski wie
folgt charakterisiert: diese Mythen müssen "jegliche
Erfahrung" in eine solche Beziehung setzen, dass die mit den Sinnen
zu erfassende (empirische) Realität lediglich als "sekundäre Realität" erfasst wird. Somit fungiert die
Erfahrung als Medium zwischen dieser Wirklichkeit und einer "nicht-empirischen, mythischen und unbedingten Welt".
Der Mythos muss demnach die beiden extremen Erfahrungen Liebe und Tod
auswerten und beurteilen bzw. verteidigen; er muss eine Begründung dafür
liefern, warum man sich bei den Gedanken, die man sich über den Tod macht,
von seinen Mitmenschen unbeachtet fühlt, anstatt zu akzeptieren, dass das
Leben auf der Erde mit dem Tod endet und das jedes Lebewesen früher oder
später einmal sterben wird.
Zum anderen sollte der Mythos erklären können, wieso wir uns in der
Liebe bzw. in einer Partnerschaft nie befriedigt, d.h. vollkommen, fühlen
können.
Trifft diese Definition auf einen Mythos zu, kann dieser die "Zähmung des Seins", d.h. eine gewisse Ordnung der Welt,
veranlassen.
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Last update: Montag, 12. Februar 2001 um 21:02:02 Uhr. |